top of page

Funktionale Dissoziation im Alltag

  • Autorenbild: Nathalie Hessler
    Nathalie Hessler
  • 5. Nov.
  • 3 Min. Lesezeit

Wenn du perfekt funktionierst – und dich dabei innerlich kaum spürst


Von außen wirkt alles stabil: Du gehst zur Arbeit, kümmerst dich um andere, triffst Entscheidungen, bist zuverlässig und stark. Doch innerlich fühlt es sich oft leer, abgeschnitten oder fremd an – als würdest du dein Leben aus der Distanz betrachten.


Das kann ein Hinweis auf funktionale Dissoziation sein – eine Überlebensstrategie, die in der Kindheit oder in belastenden Lebensphasen entstanden ist und im Erwachsenenalter unbemerkt weiterläuft.

ree

Was bedeutet funktionale Dissoziation?

Dissoziation ist kein „komisches Symptom“, sondern eine Schutzfunktion des Nervensystems. Sie bedeutet: Teile deiner Wahrnehmung, deiner Gefühle oder deines Körpers trennen sich ab, um dich vor Überforderung zu schützen.

Funktionale Dissoziation beschreibt die Form dieses Mechanismus, die „nach außen gut funktioniert“:

Du bist aktiv, strukturiert, hilfsbereit, kontrolliert – aber der Kontakt zu deinen eigenen Empfindungen ist eingeschränkt. Das System bleibt im Funktionsmodus, weil „fühlen“ irgendwann zu gefährlich war.


Wie entsteht funktionale Dissoziation?

Oft beginnt sie schon in der Kindheit – in Situationen, die emotional zu viel waren, in denen du keine Unterstützung hattest oder dich anpassen musstest, um geliebt zu werden.


Zum Beispiel:


  • Du hast gelernt, stark zu sein, weil niemand deine Tränen auffing.

  • Du hast dich angepasst, weil Konflikt gefährlich war.

  • Du hast geleistet, um Anerkennung zu bekommen.


Das Kind, das du warst, konnte nicht fliehen – also hat es gelernt, innerlich zu gehen, sich „abzuschalten“ oder zu funktionieren.

Und dieses Muster trägt sich oft bis ins Erwachsenenleben weiter.


Woran du funktionale Dissoziation erkennen kannst

Vielleicht erkennst du dich in einigen dieser Beschreibungen wieder:


  • Du bist oft äußerlich ruhig, obwohl du innerlich erschöpft bist.

  • Du spürst deinen Körper kaum – Hunger, Müdigkeit, Emotionen bleiben unbemerkt.

  • Du hast das Gefühl, automatisch zu handeln, ohne dich verbunden zu fühlen.

  • Du kannst dich in Krisen hervorragend organisieren – aber nicht entspannen, wenn es vorbei ist.

  • Du empfindest Entfremdung oder Leere, obwohl du „alles geschafft hast“.


Das sind keine Schwächen – sondern Spuren eines Nervensystems, das dich lange beschützt hat.


Warum Fühlen manchmal erst gefährlich wirkt

Wenn man über Jahre funktioniert hat, kann es paradox wirken, sich plötzlich wieder spüren zu sollen. Viele Menschen beschreiben: „Ich will fühlen, aber wenn es passiert, halte ich es kaum aus.“ Das liegt daran, dass dein System Fühlen mit Gefahr verbindet.

Es braucht Zeit und Sicherheit, um zu lernen: „Ich kann fühlen, ohne dass etwas Schlimmes passiert.“

Dieser Prozess ist oft ein Kernstück der traumasensiblen Therapie – achtsam, dosiert, in deinem Tempo.


Wege zurück in den Kontakt mit dir


  1. Achtsame Wahrnehmung

    Beginne klein: Spüre den Boden unter deinen Füßen, den Atem in deinem Brustkorb, das Gewicht deiner Hände.

    Du musst nichts „fühlen“ – es reicht, wenn du bemerkst, dass du gerade nichts fühlst.


  2. Langsamkeit zulassen

    Funktionale Menschen sind oft im Dauerlauf.

    Versuche, kleine Pausen bewusst wahrzunehmen – ohne sie gleich füllen zu müssen.


  3. Sichere Beziehungserfahrungen

    In der Therapie oder in vertrauten Beziehungen darfst du lernen, dass Nähe sicher sein kann.

    Das Nervensystem reguliert sich über Co-Regulation – also über Kontakt mit jemandem, der ruhig und präsent bleibt.


  4. Sanft mit dir umgehen

    Funktionieren war einmal überlebensnotwendig.

    Du musst es nicht sofort aufgeben. Es darf Schritt für Schritt weicher werden.


Fazit

Funktionale Dissoziation ist kein Versagen, sondern ein Zeichen dafür, wie anpassungsfähig dein System war.

Aber du darfst heute lernen, dass Überleben nicht mehr alles ist – dass es auch ein Leben mit Gefühl, Verbundenheit und innerer Ruhe geben darf.


In der traumasensiblen Arbeit geht darum, Sicherheit in dir selbst zu finden, damit Fühlen wieder möglich wird.

Du musst nicht mehr nur funktionieren. Du darfst leben.

 
 
 

Kommentare


bottom of page